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Journal

11.09.2025

Miriam Japp im Interview zur Textarbeit für «Eine Ahnung vom Ganzen»

Das aktuelle Theaterprojekt von Theater Marie arbeitet mit Texten vom Aargauer Autor Klaus Merz. Vor Probenbeginn haben sich Schauspielerin Miriam Japp und Regisseur Manuel Bürgin gemeinsam durch sein Gesamtwerk gelesen und eine Fassung für die Theaterbühne montiert. Im Interview erzählt Miriam Japp über diesen Auswahlprozess und den Rollenwechsel von der Text-Kuratorin zur realisierenden Schauspielerin.

Theater Marie: Wie entstand die Textauswahl zu «Eine Ahnung vom Ganzen»?

Miriam Japp: Manuel Bürgin und ich haben uns im August 2024 getroffen und gesagt: Jede:r liest ein paar Wochen frei, ohne vorgegebene Richtung. Dafür haben wir uns anderthalb Monate Zeit gelassen und dann eine Auslegeordnung gemacht: Was sind zentrale Themen im Werk, welche Variationen der Themen kommen vor? Wie wollen wir mit Gedichten und mit den Bildbeschreibungen umgehen? Was könnte unsere Kernerzählung werden?
Der Leseprozess geschah aus der Theaterperspektive: Was macht Sinn auf der Bühne – mit einer Transformation aus dem Roman heraus, den man ja zuhause lesen kann.

Habt ihr das gesamte Werk gelesen?

Wir haben beide zusammen alles an Prosa und Lyrik gelesen, aber manche Texte hat nur eine:r von uns gelesen.

War schnell klar, welche Texte unbedingt in die Theaterfassung kommen müssen?

Ja, weil wir die Bühne immer mitgedacht haben. Vor allem das Portraitieren als Vorgang – das taucht in mehreren Geschichten auf, z.B. in «Schwarzhäusern. Ein Portrait»: Der Maler portraitiert den Autor, der Autor den Maler. Da entsteht sofort eine Beziehung, die theatral spannend ist.

Das Betrachten und das betrachtet werden als Thema?

Genau, das hat uns interessiert. Und dass der Betrachter eine eigene Geschichte aus dem Betrachteten macht.

Gab es auch Texte, die zu deinem Bedauern nicht ausgewählt wurden?

Einer meiner Lieblingstexte, «Die Schifffahrt», ist jetzt nicht drin. Für den habe ich lange gekämpft, weil ich dessen Sprache und Farbe sehr schätze. Wir haben versucht, verschiedene sprachliche Farben einzubeziehen.

Wie habt ihr eine Haltung zu den Gedichten auf der Theaterbühne entwickelt?

Wir wussten lange nicht, ob es funktioniert, wenn Figuren plötzlich in verdichteten Gedanken – also in Gedichtform – sprechen. Wir haben uns dann jedoch dafür entschieden, weil die Gedichte zentral als Form sind, sie erzählen so viel über das Denken und Schreiben von Klaus Merz. Jetzt sind Gedichte im Theaterabend, und das finde ich sehr toll.

Der Anlass zum Stück ist der 80. Geburtstag von Klaus Merz, es ist daher auch ein Rückblick und Erinnern an seine verschiedenen Erzählungen. Wie wichtig ist dieses Erinnern als Thema im Stück?

Der Roman «Jakob schläft» war sehr zentral, weil wir die Familiengeschichte und gemeinsames Erinnern abbilden wollten. Das Thema des Erinnerns kommt immer wieder vor, das Erinnern an früher, an Familienmitglieder. Daraus sind eigentlich auch die Figuren entstanden, die auf der Bühne stehen: Sie erinnern sich an Texte, erzählen sie und werden dadurch selbst zu den erzählten Figuren.

Wann spricht dich persönlich ein Text an?

Für mich ist immer die sprachliche, schriftstellerische Qualität wichtig. Es muss klingen, nicht nur etwas in mir anklingen, sondern für sich, die Sprache. Wenn ich eine Geschichte spannend finde, aber nicht so gut geschrieben – da lege ich das Buch eher weg.

Was klingt bei Merz?

Der Stillstand der Zeit klingt durch. Oder der Wunsch, die Zeit anhalten zu können. Viele Farben sind drin. Es gibt manchmal Momente, wo plötzlich etwas Grelles in die Erzählung reinkommt. Das finde ich ganz toll. Du bist auf einem Pfad und läufst durch eine Geschichte hindurch und plötzlich liegt ein toter Hase am Wegrand. Oder Graffitis im Schulgebäude werden so beschrieben, als wären sie gerade gesprayt worden. Da entsteht auch ein Perspektivwechsel: Die Sprache beschreibt eigentlich etwas im Aussen, gleichzeitig ist es aber auch eine innere Stimme. Wie das ineinander geht, das finde ich schon grossartig.

In der Produktion wirkst du als Schauspielerin mit, nachdem du die Textfassung vorbereitet hast. Wie ist dieser Rollenwechsel für dich? Hilft es dir für die Bühne, dass du bei der Ausarbeitung der Textfassung dabei warst?

Ich brauchte ein bisschen, um mich von dieser Rolle zu lösen und zu sagen, “So, Manuel macht jetzt Regie, ich spiele.” Es gab dann noch ein paar Umstellungen in der Fassung und es fiel auch noch ein Text raus, oder anderthalb. Da merkte ich, dass es für mich…

War das schmerzhaft?

Es war etwas schmerzhaft, aber ich habe darauf vertraut, dass durch dieses mehrstimmige Arbeiten auch ein mehrstimmiges Entscheiden entsteht, was letztendlich für die Theateraufführung richtig ist.

Sicher hat es mir in der Vorbereitung geholfen: ich musste nicht so viel Zeit ins Textlernen stecken. Der Klang der Texte war wirklich verinnerlicht, weil wir sie in der Vorbereitung zur Textfassung oft gelesen hatten. Ich bin sehr froh mit der Auswahl, die wir getroffen haben. Und alles, was ich gelesen habe, ist trotzdem da, das bringe ich mit auf die Bühne.

Wie würdest du den Theaterabend beschreiben, der die Zuschauer:innen erwartet?

Ich denke, es erwartet sie ein Denkraum, der sich immer wieder verändert, der immer wieder neue Attribute bekommt. Jeder von uns Spielenden erzählt etwas anderes, bringt eine neue Farbe rein. Zudem hat der Theaterabend auch viel mit der Bildenden Kunst zu tun. Man kann wie in ein dreidimensionales Gemälde eintauchen, wenn man das so sagen kann.

Miriam Japp, geboren 1968 in Lübeck und aufgewachsen in Zürich, Ausbildung an der Schauspiel Akademie Zürich (heute ZHdK). Als Stimme für Hörbücher und Literaturlesungen ist Japp eine erfahrene Interpretin literarischer Texte. So hat für die Online-Zeitung republik.ch journalistische Beiträge gelesen und ihre Sprecherinnentätigkeit umfasst den Briefwechsel Ingeborg Bachmann/Paul Celan und Bachmann/Max Frisch sowie Texte von Karoline von Günderrode, Peter Bichsel und anderen deutschsprachigen Autor:innen.

Seit Sommer 2025 gehört sie zum festen Ensemble am Theater Neumarkt und spielt als Gast bei Theater Marie.

Die Fragen stellte Maria Ursprung.